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Siggi_Hartmeyer

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Siggi_Hartmeyer

Aufgrund einer aktuellen Diskussion über die unterschiedlichen Tentakelformen der Sonnentau, dachte ich mir, das Thema interessiert sicher auch weitere Droserafreunde hier im Forum. Bereits vor Jahren untersuchten wir die unterschiedliche Entwicklung der moderaten Schnelltentakel (ca. 3-20 Sekunden für 180°) bei modernen Sonnentau (Beispiel D. sessilifolia oder D. linearis) im Vergleich zum stammesgeschichtlich ältesten "Schnelltentakelsonnentau" mit extrem schnellen Katapulten (75 Millisekunden für 180°), Dropsera glanduligera.

 

Irmgard und ich stellten dabei schon Anfang der 2000er überrascht fest, dass die Entwickling der ältesten, dabei größten und schnellsten Katapulte (mit 1x Funktion) umgekehrt verläuft, als bei den Schnelltentakeln moderner Arten (mit Mehrfachfunktion). Das unter dem Mikroskop zu beobachten ist überraschend und bietet einen schönen Einblick in die stammesgeschichtliche Entwicklung der schnellen Sonnentautentakel. Solche schnellen Fangbewegungen sind es doch, welche die Sonnentaufamilie nicht nur für Charles Darwin und die Biomechaniker so interessant machen.

 

Unsere Doku zeigt dazu auch hochauflösende Mikroskopaufnahmen, die während unseres gemeinsamen Projekts mit der inzwischen von Dr. Simon Poppinga geleiteten Plant Biomechanics Group der Universität Freiburg entstanden und 2012 zur Publikation eines neuen zweistufigen Fallentyps aus sehr schnellen Katapulten mit einem nachgeschalteten "Laufband-Transportmechanismus", der kombinierten Katapult-Leimfalle führte.

 

Offensichtlich sind die Schnelltentakel der Keimlinge und Bodenrosetten besonders effektiv für den Fang von weltweit verbreiteten Springschwänzen (Collembola), während die Leimtentakel wesentlich besser für den Fang von Fluginsekten geeignet sind. Das lässt sich zum Beispiel bei Drosera cistiflora (aber auch D. binata) sehr schön beobachten. Die Keimlinge und Bodenrosetten bilden hier Schnelltentakel aus, die am Fallenrand durch langstielige Leimtentakel ersetzt werden sobald die Pflanze in die Höhe wächst, um dadurch vermehrt Fluginsekten zu fangen.

 

Die Doku ist in deutscher Sprache mit englischen Untertiteln. Auch diejenigen welchen das Thema insgesamt zu kompliziert erscheint, dürften an den Detailaufnahmen ihre Freude haben.

  

 

Bearbeitet von Siggi_Hartmeyer
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Jürgen Wetzel

Hallo Siggi,

 

Glückwunsch zu diesen faszinierenden Aufnahmen. Gibt es schon nähere Erkenntnisse zur Funktionsweise der Gelenke der Schnelltentakeln (Bau, mechanische Vorgänge, Reizaufnahme und Erregungsleitung) ?

 

Grüße,

Jürgen

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Siggi_Hartmeyer
Zitat

Gibt es schon nähere Erkenntnisse zur Funktionsweise der Gelenke der Schnelltentakeln (Bau, mechanische Vorgänge, Reizaufnahme und Erregungsleitung)

 

Vielen Dank fürs Feedback Jürgen. Diese Details der Katapulte haben wir recht ausführlich in den Laboren der Plant Biomechanics Group untersucht und (in englischer Sprache) publiziert.
 

Catapulting Tentacles in a Sticky Carnivorous Plant (Plos One 2012)

Trap diversity and evolution in the family Droseraceae. (Plant Signaling and Behavior 2013)

 

Die Wissenschaftler der Uni Freiburg akzeptierten und übernahmen in unserem gemeinsamen Artikel für Plant Signaling & Behavior (2013) die von Irmgard und mir bereits 2010 im CPN vorgeschlagene Definition der unterschiedlichen Tentakeltypen der Gattung:


T0= Zentrale Leimtentakel, senkrecht auf der Lamina stehend und in alle Richtungen beweglich. Bei allen Arten vorhanden.

T1= Marginale Leimtentakel, am Blattrand horizontal mit breiter Basis entspringend, mit Schleim produzierendem symmetrischem Kopf. Nur nach oben und unten beweglich.

T2= Marginale Schnelltentakel, am Blattrand horizontal mit breiter Basis entspringend, mit bilateral symmetrischem Kopf ohne  Schleimbildung. Nur nach oben und unten beweglich.

T3= Marginale Schnelltentakel, am Blattrand horizontal mit breiter Basis entspringend mit abgehobenem, bilateral symmetrischem Kopf ohne Schleimbildung. Nur einmalige Aufwärtsbewegung zur Blattmitte, da der entstehende hydraulische Druck beim Katapultieren (in 75 ms) die Gelenkzone zerstört (Bisher nur D. glanduligera).

 

Als wir daraufhin gezielt die Zwergdrosera unter die Lupe nahmen, fanden wir überraschenderweise und bis dahin nirgendwo erwähnt auch dort bei einigen kleinen Arten eine Katapultbwegung im Zehntelsekundenbereich. Allerdings besitzen alle "Zwerge" (zumindest in der juvenilen Phase) T2-Tentakel, die obwohl teils sehr schnell, mehrfach funktionieren. Die haben sich also evolutiv im Vergleich zu den T3 Tentakeln der stammesgeschichtlich alten D. glanduligera deutlich optimiert. Wer sich dafür interessiert, kann gerne einen Blick in unseren Film "Katapulte im Zwergenland" werfen.
 

 

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Siggi_Hartmeyer

@Jürgen und für alle denen die Fachartikel zu lang sind hier eine kurze Zusammenfassung der im Labor mit einer Hochgeschwindigkeitskamera erzielten Messwerte der Katapult-Leimfalle von D. glanduligera:

 

Reaktionszeit nach Berührung des Tentakelkopfs bis zur Auslösung des Katapults: 400 Millisekunden (ms)

Dies entspricht demzufolge der Laufzeit des elektrischen Aktionspotentials (analog eines Nervenimpulses, allerdings ohne Nerv) vom Kopf zum Gelenk.

 

Dauer der Tentakelbewegung um 180°: 75 ms

Beschleunigung: 7,98 m/s² (Erdbeschleunigung = 9,81 m/s²)

Maximale Tentakelkopfgschwindigkeit: 0,17 m/s

 

Die Bewegung wird durch hydraulische Energie, also durch Flüssigkeitsverschiebung in den Gelenkzellen ausgelöst. Anzeichen für eine Vorspannung der Katapulte (wie beim Zuklappen von Dionaeafallen) haben wir nicht gefunden, können es aber auch nicht vollständig ausschließen.

 

Das Foto zeigt den Versuchsaufbau mit der Highspeed Cam im Freiburger Labor im März 2012:


 

Highspeedcam_Set240112_1.jpg

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Hallo,

ich habe letztens einen Artikel gelesen, bei denen die Forscher die Fallen einer Venusfliegenfalle mit ionisierten Gasen (kaltes Plasma) auslösten. Das gleiche funktioniert wohl auch mit reaktiven Stoffen wie Wasserstoffperoxid. Es wäre interessant zu wissen, ob die Tentakel der Drosera auch Radikale zur Signalübertragung nutzen.

 

Grüße

Ronny

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Hallo,

ich habe es gleich bei D. sessilifolia und D. tomentosa mit Wasserperoxid versucht und es funktioniert. Die Tentakel lösen aus. Allerdings steht auf der Verpackung, dass das Wasserstoffperoxid mit Phosphorsäure stabilisiert ist. Wäre also auch möglich, dass sie auf das Phosphat reagieren. Leider habe ich keine Phosphorsäure für einen Test.

 

Grüße

Ronny

 

 

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Siggi_Hartmeyer

Für diejenigen, welche des Englischs nicht mächtig sind noch ein Hinweis auf den Artikel "Hydraulische Katapulte für den Beutefang" in deutscher Sprache, erschienen im Journal der Merian Gärten Basel (Schweiz). Der ist online, man muss im Heft auf dem Bildschirm einfach bis Seite 18 vorblätter (Der Pfeil Seitenmitte rechts). Der Artikel geht leicht verständlich sowohl auf die Vorgeschichte ein, als auch auf die wissenschaftlichen Details der Katapult-Leimfalle: Hydraulische Katapulte für den Beutefang (Brüglinger Mosaik 2014)

 

@Ronny: Sonnentautentakel reagieren auf eine ganze Reihe Chemikalien mit einer Biegung. Besonders empfindlich detektieren sie Kochsalz (NaCl), Ammonium (NH4) sowie Nitrate (NO3) und Phosphate (PO4, das wie o.g. auch Wasserstoffperoxid als Stabilisator zugesetzt wird) . Alle diese Verbindungen finden sich beispielsweise im Fischfutter, weshalb das prima funktioniert. Anders als oft vermutet, reagieren die Tentakel nicht auf Fleisch, also große Proteine (Aminosäuren) der Beute, sondern nur auf ammoniumhaltige Zersetzungsprodukte der Aminosäuren und das Kochsalz, dass (nicht nur) alle Insekten am Körper haben. Die Versuche mit Chemikalien beschreibt schon Charles Darwin in seinem Buch (1875).

 

 

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