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Moor und mehr - ein kleiner Blick in die Schweiz


Bibwue

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Ich kann mich gut an die Geschichten meiner Oma erinnern. Geschichten aus ihrer Kindheit; aus einer Zeit, als Torfabbau noch völlig normal zu sein schien. Ich erinnere mich gut daran, wie sie erzählte, dass sie als Kind während den Sommerferien beim Torfstechen geholfen hat. Den abgestochenen Torf zu Türmchen aufgeschichtet hat, damit er abtrocknet. Denn dort wo sie aufgewachsen ist, gab es gleich zwei Moore. Keine besonders grossen, aber trotzdem reichte es, um sie auszuschlachten.

1918 kaufte der Kanton diese beiden Moore für nicht einmal 100'000 Franken, um den Torf abbauen zu können. Damals war die Torfschicht noch gut 10m dick. Etwa 850'000m³ befanden sich dort, die man nach und nach abbaute, damit die Moore fast zerstörte.

 

Und so erging es natürlich vielen Mooren. Den meisten. 90% der Moore sind zerstört, und die verbleibenden Moore sind alles andere als gesund. In fast jedem findet man Plastikmüll - und damit ist nicht mal nur Mikroplastik gemeint, sondern auch deutlich grösserer Mist. Und ein Moor, das von Landwirtschaft umgeben ist, kann auch einfach nicht gesund sein. Ist das ganze Umfeld krank, wird selbst der gesündeste über kurz oder lang ebenfalls krank.

Aber wem erzähl ich das - das ist nichts neues. Hier mit Sicherheit schonmal gar nicht. Wir alle wissen nur zu gut, wie fragil diese Landschaften sind.

Doch manche sehen deutlich gesünder, intakter aus. Dort ist die Artenvielfalt beeindruckend und es gibt keine Runterzieher in Form von gefundenen Kippenstummeln, leeren Plastikflaschen oder abgerissenen Ecken von ach so gesunden sportlichen Proteinriegelverpackungen, die man dann dennoch achtlos in die Umwelt wirft, während man sich so naturverbunden gibt und durch sie hindurchjoggt; kaum dabei anhaltend und sie sich wirklich mal richtig anschauend.

Aber nein, ich bin nicht krankhaft pessimistisch oder so, und gehöre schonmal gar nicht zu denjenigen, die ihre ganze Kraft darauf verschwenden, nur die negativen Dinge des Lebens zu beachten. Hier will ich nicht über Müll und Zerstörung wettern (aber zu verhindern ist das natürlich nicht ?).

Und um zu verhindern, dass ich hier dem Internet eine bequeme Liste von schönen Orten liefere, die dann dadurch auch nur minimal stärker belastet werden, gibts hier nirgendwo klare Namen zu den Orten. Aber sollte jemand Interesse daran haben, wo genau sie liegen... Nun, es gibt ja immer noch die Möglichkeit der privaten Nachrichten.

 

 

Wie es der Lauf der Dinge so will, bin ich oftmals mit der Kamera unterwegs. Mich zieht es meistens dort hin, wo schöne Landschaften und Wasser zusammenkommen - und genau dort finden sich meist (Berg)Seen und Moore. So ist es nicht verwunderlich, dass ich über die Jahre viele Fotos in Mooren machen konnte. Schon als Kind war ich sehr oft draussen unterwegs, irgendwo in der Natur. Und daran hat sich nichts geändert. Nur, dass ich inzwischen viel Glas und Metall mitschleppe, um diese tollen Landschaften nicht nur anschauen, sondern auch "festhalten" zu können.

 

Nachdem ich bereits einer meiner Lieblingsorte (nicht zuletzt auch wegen des Sarraceniavorkommens) in diesem Thema vorgestellt habe, möchte ich den Blick diesmal auf ein anderes Moor richten.

 

 

Ganz unscheinbar liegt es da in einer Senke. Umgeben von Wäldern und einer kleinen Ortschaft lebt es vor sich hin, abseits des grossen Interesses. Es gibt keinen Steg oder breiten Weg der hindurchführt, wie an vielen anderen Orten. Lediglich ein paar schiefe, verrostende, grüne Schildchen deuten darauf hin, dass es sich um ein Naturschutzgebiet handelt. Wege hindurch sind schwierig zu finden, selbst wenn man weiss, wo sie sich befinden. Im Winter unter Schnee begraben, im Sommer von brusthohen Gräsern überwachsen.

Dicke Moospolster wachsen dort und leuchten in allerhand Farbnuancen zwischen grün, gelb und rot.

 

 

Doch bevor man es erreicht, sieht man... Bäume und Heidelbeeren.

 

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Als ich zum ersten Mal dort war, konnte ich nicht zwischen offiziellem "Weg" und Wildwechseln unterscheiden, landete damit öfters in einer Sackgasse und musste den Weg wieder bis zur letzten Abzweigung zurückgehen. Mal landete ich an einem steilen Abhang, dessen Erkletterung keinen Sinn machte, mal an einer uralten Doline, die direkt vor meinen Füssen wie ein riesiger Trichter steil hinab führte, etliche Meter abwärts in einen unsichtbaren Schlund zur Unterwelt. Wer weiss, wieviele Höhlen sich darunter befinden. Das helle und völlig durchlöcherte Kalkgestein darunter birgt noch viele Geheimnisse, die wir möglicherweise nie lüften können. Und besitzt vermutlich ein Höhlensystem, dessen Grösse uns wirklich überraschen könnte.

 

Doch genug vom kalkigen Untergrund, hier solls ja um die Oberfläche gehen, und die ist echt spannend. Denn bald ändert sich die Umgebung. Der Wald lockert sich weiter auf, mehr Sonne gelangt hindurch. Der Boden wird spürbar feuchter, und damit nimmt auch das Mooswachstum zu. Und nachdem man die steilen Löcher hinter sich gelassen hat, gelangt man langsam an einen Ort mit besserer Übersicht. Vor einem öffnet sich der Wald und der Blick auf die Landschaft dahinter lässt erahnen, dass es noch baumärmer wird.

 

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Als ich zum ersten Mal dort war, zogen regengefüllte Wolken über mich hinweg. Ich war zwar auf Regen eingestellt und trug  entsprechende Kleidung, aber vorerst blieb es trocken. Nun, so trocken wie ein Moor eben sein kann, nachdem es am Vormittag geregnet hatte. Besorgt in den Himmel schauend, wanderte ich auf der Suche nach spannenden Blickwinkeln umher. Die Wolken wurden dichter und dichter, das zu Beginn reichlich vorhandene Sonnenlicht wurde seltener.

 

Nach einer Weile hatte ich das Ende des Waldes erreicht. Ein uralter Stacheldrahtzaun verlief an dessen Rand entlang, und dahinter erstreckte sich eine mehrheitlich freie Fläche bis an die bewaldeten Hügel im Hintergrund.

Diesen Bereich wollte ich auf keinen Fall betreten. Dicke Moospolster bedeckten den Boden, zusammen mit allerhand Gräsern. Und unter meinen Füssen matschte der nasse Untergrund. Ein kleiner Pfad führte am alten Zaun entlang - der Draht verrostet, die Zaunpfähle teilweise morsch, über und über von Flechten bewachsen... Ich folgte diesem Pfad. Die Sonne erreichte langsam einen so niedrigen Stand über dem Horizont, dass das Licht richtig golden wurde. Doch die weiter zuziehenden Wolken verhinderten eine freie Sicht auf die Sonne. Nur noch am westlichen Horizont konnte ich den freien Himmel sehen. Ich hoffte auf gutes Licht, später, zum Sonnenuntergang... Und ging weiter.

 

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Ohnes es zu merken, näherte sich aus Osten Regen. Die Wolken wurden dunkler, und die Stimmung änderte sich. Und dann hörte ich den Regen kommen. Ein anfangs leises Rauschen im Osten, das rasch lauter wurde. Und lauter. Bald fielen die ersten Tropfen um mich herum. Das Stativ stand bereits mitsamt Kamera darauf, und erst dachte ich, ich könne dort stehen bleiben. Doch schon nach wenigen Sekunden wurde mir klar, dass dieser Regen eher mit Starkregen eines Gewitters zu vergleichen war, als mit sanftem, stundenlang anhaltendem Landregen.

Ich hatte noch knapp die Zeit, die Kamera vom Stativ zu nehmen und unter den nächstbesten Baum zu rennen, bevor sich der Niederschlag so weit intensivierte, dass ich von lautem Rauschen umgeben war - beinahe lauter als meine eigenen Gedanken.

Unter dem Bäumchen stehend schaute ich zu, wie der Regen fiel, während ich darunter mehrheitlich trocken blieb. Trotz des massiven Niederschlags blieb es erstaunlich trocken unter den Nadeln. Nur vereinzelt tropfte es hindurch. Doch angesichts des Wetters da draussen war mir jedes kleine Tröpfchen hier drunter deutlich lieber. Ausserhalb des schützenden Bäumchens wäre ich innerhalb einer Minute vollständig durchnässt gewesen, das war klar. Und so wartete ich weiter. Darauf, dass der Regen nachlässt und ich das Stativ holen kann. Darauf, dass sich vielleicht wieder ein Wolkenriss am Horizont bildet und die Sonne hindurchlässt.

 

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Auch der schwerste Regen geht einmal vorbei, und dieser hier tat das sogar recht bald wieder. Nachdem er aus dem Nichts aufgetaucht und sich verausgabt hatte, zog er weiter. Zurück blieben Wolkenfetzen am Himmel, aus den Wäldern emporsteigender Dunst und eine völlig nasse Landschaft.

Und dann... zerrissen die Wolken. Erst wurden nur kleine Risse sichtbar, doch dann wurde mehr und mehr blauer Himmel zu sehen. Die Sonne schaffte es wieder durch die Wolkendecke hindurch, und alles um mich herum begann zu glitzern. Goldenes Sonnenlicht durchflutete schon bald wieder die nasse Landschaft um mich herum, glitzerte in jedem Wassertröpfchen... Und davon hatte es inzwischen wirklich genug. Anstelle des kalten, bläulichgrauen Wetters während des Regens wirkte plötzlich alles so warm... Wie eine ganz andere Welt.

 

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Und dann war sie sichtbar, die Sonne. Nur wenige Minuten bevor sie endgültig hinter dem bewaldeten Horizont verschwinden und die abendliche Dämmerung die Kontrolle über die Farben übernehmen würde.

 

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Schon kurz danach verschwand sie wie erwartet hinter den höchsten Baumwipfeln - Sekunden später war sie vollständig weg. Doch die Wolken am Himmel zogen allesamt weiter nach Südwesten, der Himmel wurde immer klarer. Die verbliebenen Wolkenfetzen begannen in schönsten Farben zu glühen, während ich mich auf den Rückweg machte. Unterwegs hielt ich immer wieder an, drehte mich um und schaute dem Spektakel zu - die Kamera samt Stativ ständig in der Hand.

 

Rund um mich herum tauchten Rehe auf. Zuerst dachte ich, es seien Hunde.. Schreckende Rehe könnte man oft genug für bellende Hunde halten, und so erging es mir schon oft... Auch hier. Zumindest bis ich sie überall stehen sah. Leider hatte ich kein passendes Objektiv mit langer Brennweite dabei, um sie fotografieren zu können. Also konzentrierte ich mich lieber darauf, weiterhin die weite Landschaft zu fotografieren, die emporsteigenden Dunstschleier und die Rehe zu beobachten.

 

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Matschige Stellen wechselten sich mit noch viel nasseren Bereichen unter meinen Füssen ab, während sich die letzten Wolkenfetzen über mir auflösten. Es wurde dunkler. Ich wollte auf jeden Fall vor Einbruch der Nacht draussen sein; schon bei Tag war es schwierig, in dieser Gegend den Weg nicht aus den Augen zu verlieren.

Der Himmel über der weiten Fläche war inzwischen fast vollständig klar. Gerne wäre ich noch für Astroaufnahmen vor Ort geblieben, aber nachts in einem Moor das ich nicht kenne, auf Wegen die man kaum erkennt und alles nass... Und dann auch noch so viele Rehe um mich herum... Das schrie förmlich nach einigen Schreckmomenten.

 

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Ob dort fleischfressende Pflanzen wohnen? Ich weiss es nicht. Möglicherweise. Irgendwo wird bestimmt Sonnentau glücklich und unberührt vor sich hin wachsen, ohne von Menschen gestört zu werden.

 

Ein letzter Blick zurück zeigte das Moor in einem abermals anderen Licht. Voller düsterer Blautöne, durchdrungen von Nebelschleiern lag es da, unter mir... Wie gerne wäre ich länger geblieben, doch... Nicht an diesem Abend. Noch war es nicht so weit. Also machte ich mich auf den Rückweg, verliess den Rand des Moors und kehrte nach Hause zurück.

 

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Bearbeitet von Bibwue
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... extrem tolle Geschichte und super Bilder. Bitte gib die Standorte nur bekannt, wenn Du sicher bist, dass da dann nichts passiert. Es gibt einfach zu viele DeppInnen.

 

Super Beitrag!

 

Danke,

 

BT

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Danke für die tollen Impressionen!
Ich mag deinen Erzählstil. Lässt einen richtig eintauchen. Freue mich auf weitere Geschichten.

 

Gruß, MM

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Super Beitrag. Auch die Erklärungen dazu gefallen mir sehr. 

 

Gerne viel mehr davon,

 

viele Grüße Ralf

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Am 2.12.2020 um 19:51 schrieb Beautytube:

... extrem tolle Geschichte und super Bilder. Bitte gib die Standorte nur bekannt, wenn Du sicher bist, dass da dann nichts passiert. Es gibt einfach zu viele DeppInnen.

 

Super Beitrag!

 

Danke,

 

BT

Mhmm... Das handhabe ich schon seit einiger Zeit so. Zu Beginn wars etwas schwieriger, weil... Wie geht man mit jemandem um, der nachfragt wo's ist, mans aber nicht mitteilen will... Ohne eine negative Reaktion zu provozieren? Aber irgendwann... Fings mir an egal zu sein. Weil wer vernünftig ist, der fragt entweder erst gar nicht nach und sucht evtl selber.. Oder versteht das Nicht-Mitteilen voll und ganz. Wer dann aber ausfällig wird, tja. Warum sollte man sich gross um das Wohlbefinden einer Person kümmern, wenn diese mit dem Verhalten beweist, dass sie das anders handhabt und die Gefahr besteht, dass sie sich dann an solchen Orten genau so ohne Rücksicht verhält. Nene... Das is nix.

 

 

 

 

Am 3.12.2020 um 13:25 schrieb Mossman:

Danke für die tollen Impressionen!
Ich mag deinen Erzählstil. Lässt einen richtig eintauchen. Freue mich auf weitere Geschichten.

 

Gruß, MM

Freut mich zu lesen! Ich finds immer schön, wenn ich jemanden quasi mitnehmen kann, im Nachhinein, der nicht die Möglichkeit hatte, zur selben Zeit die selben Dinge erleben zu können... Aus welchen Gründen auch immer.

Sei das jetzt mit Fotos oder Worten,

 

 

 

Am 3.12.2020 um 16:06 schrieb Ralf Mößle:

Super Beitrag. Auch die Erklärungen dazu gefallen mir sehr. 

 

Gerne viel mehr davon,

 

viele Grüße Ralf

Danke! ? Nur zu gern... Es gibt so viele schöne Fleckchen allein schon in der näheren Umgebung (so im Umkreis von 2 - 3h Anfahrt), dass selbst wenn ich ein Leben lang jede Woche mehrmals unterwegs wäre, niemals all die Orte erkunden könnte, die es so gibt/die sehenswert und fotografierwürdig sind. Ein echt gutes Gefühl.

 

 

 

Im obigen Moor war ich mehrmals unterwegs. Ende November 2018 wollte ich abends bzw nachts dort fotografieren. Es war kalt und der Boden teils gefroren, teils völlig durchnässt... Der Stacheldrahtzaun irgendwo in der Nähe, nicht sichtbar in der Dämmerung... Tja, eine recht ungünstige Situation. Aber ich hatte keine andere Möglichkeit. Das Wetter war gerade passend, danach stand wieder eine längere Phase mit völliger Bewölkung an. Aber ich wollte unbedingt mal eine andere Tageszeit erleben. Und so blieb ich dort, bis die Nacht kam.

... ein eigenartiges Gefühl. Mitten in einem Moor stehend, nicht ganz genau wissend wo man sich befindet... Immer noch im "erlaubten" Bereich, aber dennoch mittendrin und umgeben von wassergefüllten Löchern und schreckenden Rehen, die in der Dunkelheit plötzlich wie bedrohliche, angriffslustige Hunde klingen... Irgendwo im Wald umherstreunende Bestien, zähnefletschend und ihre Beute schon von weitem anbellend.. Ihr zeigend, dass es egal ist, wenn man sie hört, weil man ohnehin nicht mehr flüchten kann...

Schon verrückt, was einem manchmal für Gedanken durch den Kopf gehen, wenn man sonst nichts zu tun hat und warten muss, bis die Sterne ausreichend deutlich sichtbar werden. Ganz allein bei Dunkelheit an einem Ort stehend, wo man ganz bestimmt nicht so schnell gefunden werden würde, bei Frost und mit nassen Füssen, eiskalten Fingern und einer abfrierenden Nase.

 

Es ist manchmal schon etwas verrückt, was man so alles tut, um ein einzelnes Foto machen zu können. Oder eben mehrere Fotos wie in diesem Fall. Strichspuren mit nur einer einzelnen Aufnahme zu machen, klappt zwar, ist aber einfach eine äusserst riskante Sache. Je kleiner die Brennweite, desto länger muss man belichten, um überhaupt Bewegung am Himmel sehen zu können. Und je länger man belichtet, desto mehr Zeit hat der Zufall, ein vorbeifahrendes Auto seine Photonen ins Motiv schiessen und damit die Aufnahme versauen zu lassen. Oder sonst irgendwas - man weiss ja nie was kommt.

Darum wähle ich meist einen Mittelweg und mache mehrminütige Aufnahmen, die dann am Ende zusammengefügt werden. Viel sicherer. Zwar auch mit etwas mehr Aufwand verbunden, aber den nehme ich gerne in Kauf, wenn ich damit sicherstellen kann, dass ich das gewünschte Foto tatsächlich machen kann.

 

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... ausser es geschieht etwas wie in diesem Fall. Mir fiel das vor Ort gar nicht auf, aber zuhause am PC bemerkte ich dann, dass das Bäumchen völlig vor dem Hintergrund verschwindet, sich nicht schön hervorhebt und irgendwie alles seltsam aussieht. Insgesamt machte ich in diesem Fall sechs Aufnahmen à 300 Sekunden... Und dann kam der Mond über den Hügel im Osten. Alles wurde viel heller und die Sterne waren nicht mehr richtig zu sehen. Keine angenehme Situation, aber dagegen unternehmen konnte ich nichts mehr. Also liess ichs dabei bleiben, packte zusammen und machte mich wieder auf den Rückweg. Manchmal klappts eben auch nicht ganz so wie man es wollte.

Die hellen "Wolken" am Himmel sind übrigens nichts anderes als die Milchstrasse selber.

 

 

Und dann, genau ein Jahr später, per Zufall am selben Tag - dem 22. November - stand ich wieder dort. Doch diesmal lag Schnee. Er bedeckte den Grossteil des Bodens, lag auf den horstigen Gräsern... Und so bestand der gesamte Boden entweder aus wassergefüllten Löchern, oder aber Schneehügelchen. Unzählige, überall. Schon bei meiner Ankunft entdeckte ich irgendwo am Rand eine glänzende Fläche, diese steuerte ich an. Schritt für Schritt suchte ich mir meinen Weg durch dieses matschige Minenfeld, immer kurz davor abzurutschen oder in ein werweisswietiefes Loch zu treten, die Schuhe mit schlammig-torfigem Wasser gefüllt zu bekommen und dann schon auf dem Hinweg nasse Füsse zu bekommen. Doch glücklicherweise geschah das nicht. Wasser drang zwar durchaus ein, aber erst später und nur ganz langsam.

 

Dafür fand ich diese ominös glänzende Fläche nach einiger Zeit - es stellte sich als das heraus, was ich bereits zu Beginn vermutet hatte. Vor mir tauchte plötzlich eine offene Wasserfläche auf. Ein kleiner, hübsch geformter Teich. Und ich bin mir sicher, dass der zuvor nicht dort war. Bearbeitungsspuren waren aber auch nirgendwo zu sehen. Keine Baggerspuren, keine aufgehäufte Erde, keine Grassoden die herumliegen... Nichts. Das kam mir natürlich sehr gelegen, denn so sah die Szenerie viel schöner aus.

Ich suchte nach einem geeigneten Platz für die Kamera, nach einem schönen Blickwinkel, um möglichst alles dieser Szene festhalten zu können, ohne auf das eine oder andere verzichten zu müssen. Und irgendwann fand ich eine solche Position. Die Sonne war zwar vor wenigen Minuten hinter den Baumwipfeln verschwunden, doch das war mir egal. Das Licht ist nach Sonnenuntergang sowieso meist viel schöner. Zuerst das goldene Nachleuchten, dann der Color-Peak, wenn die höheren Wolkenschichten zu glühen beginnen - sofern es denn welche hat - und zum Schluss dieses ganz, ganz weiche Licht, kurz bevor die Nacht hereinbricht... Herrlich.

 

Und so stand ich dort am Wasser, wartete darauf, dass die Wolken zu leuchten beginnen, und... plötzlich sah ich Bewegung auf dem Wasser. Aus dem Augenwinkel, kaum wahrnehmbar. Aber da war etwas, eindeutig. Bei genauem Hinschauen konnte ich aber nichts erkennen. Da waren keine Wellen, keine Luftblasen, keine Tierchen, nichts.

Und kurze Zeit später hatte ich wieder dieses Gefühl, dass sich irgendwas bewegt. Diesmal jedoch erkannte ich es: da war tatsächlich Bewegung, und sie kam direkt von der Wasseroberfläche.

Ich konnte zusehen, wie die Wasseroberfläche zufror. Als würden unsichtbare Feen auf der Wasseroberfläche Schlittschuh fahren... Sie gefrieren lassend, wo sie entlangfahren (Fantasia lässt grüssen - genau so wie in diesem schönen Film sah das aus)... Ich hatte keine Ahnung, dass dieser Prozess des Zufrierens zum Teil so schnell abläuft, dass man richtig zusehen kann.

 

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Die Probleme vom letzten Mal fielen weg, alles klappte reibungslos. Am liebsten hätte ich noch auf Sterne gewartet, aber irgendwann werde ich gute Bedingungen für Sterne vorfinden.. Frei von störendem weil unerwartetem Mondlicht, zum Beispiel. Ich hätte es einfach nachschauen sollen im Voraus, dann hätte ich mich darauf einstellen können und nicht in einem solch blöden Winkel fotografiert, dass das harte und starke Mondlicht seltsame Schatten wirft, die mir nicht gefallen und alles ganz flach wirken lassen. Und vor allem hätte ich versucht früher dort zu sein, damit ich noch mehr Restlicht des verblassenden Tages mitnehmen kann, bevor die Nacht hereinbricht. Aber irgendwann mache ich das nochmal. Dann aber richtig. ?

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vor 3 Stunden schrieb Bibwue:

unerwartetem Mondlicht

Diese Formulierung ist lieb. So ähnlich wie "ich wollte die Schnecken absammeln, aber sie sind mir immer davon gelaufen". ?

 

13.12.2020 ist sehr dunkel. Um 2:00 Höhepunkt eines Meteorschauers!!!

 

Wie immer super Bilder und tolle Geschichte.

 

LG,

 

BT.

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vor 2 Stunden schrieb Beautytube:

Diese Formulierung ist lieb. So ähnlich wie "ich wollte die Schnecken absammeln, aber sie sind mir immer davon gelaufen". ?

 

13.12.2020 ist sehr dunkel. Um 2:00 Höhepunkt eines Meteorschauers!!!

 

Wie immer super Bilder und tolle Geschichte.

 

LG,

 

BT.

Hmm das wäre ein Sonntag, das klingt gut und machbar. Dann kann ich schon früher am Nachmittag los, weil wenn ich durch den Schnee stapfen muss, brauch ich natürlich deutlich länger. Ob Schneeschuhe oder nicht, länger gehts allemal. Und mühsamer wirds auch. Inzwischen sind durch den Schneefall (auch hier herum - das gabs letztes Jahr überhaupt nicht. Um Silvester rum sass ich noch mit zurückgeschobenen Ärmeln im Garten an der Sonne, wie den gesamten Winter über. Schnee gabs an zwei Tagen und der hielt dann jeweils ein, zwei Stunden) auch die grösseren Juragipfel zu, aber... Das Moor ist ja nicht irgendwo auf einem Gipfel. Wenn dann das Wetter mitspielt, wäre das echt gut...

 

Tja, vielleicht reichts dieses Jahr sogar, um im jurassischen Winter im tiefen Schnee übernachten zu können - abseits der Lawinengefahren, Skipisten und Wintersportlern. Das wollte ich eigentlich letztes Jahr machen, aber dann gabs halt echt keinen Schnee. ?

Aber schön im tief verschneiten Wald übernachten, schön im warmen Schlafsack mit Taschenwärmer... Den im Mondschein glitzernden Schnee sehen und fotografieren, Sterne über dem Kopf, dicke Schneekissen auf den Fichten rundherum... Ja, das wär schon was.

Bearbeitet von Bibwue
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Auch wenn ich jetzt etwas spät dran bin, ich kann allen jubelnden Vorkommentatoren* nur zustimmen.

Hervorragende Bilder und ganz große Klasse beim Schreiben. Du solltest ein Buch raus bringen.

 

Zitat

..., dass das harte und starke Mondlicht seltsame Schatten wirft, die mir nicht gefallen und alles ganz flach wirken lassen.

Ich gehe einmal schwer davon aus, dass du in RAW fotografierst. Da ist ja dann schon ein Zuschlag an Modulation drin. ?

 

Gruß Piesl

 

* "tolles" Wort ?

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vor einer Stunde schrieb Piesl:

Auch wenn ich jetzt etwas spät dran bin, ich kann allen jubelnden Vorkommentatoren* nur zustimmen.

Hervorragende Bilder und ganz große Klasse beim Schreiben. Du solltest ein Buch raus bringen.

 

Ich gehe einmal schwer davon aus, dass du in RAW fotografierst. Da ist ja dann schon ein Zuschlag an Modulation drin. ?

 

Gruß Piesl

 

* "tolles" Wort ?

Vielen Dank! ?

 

Ja an der Farbe und allem kann ich natürlich schon drehn, das Problem sind aber v.a. die harten Schatten und das Überstrahlen der Sterne... Dinge die ich nicht beeinflussen kann... Leider. Oder zum Glück, je nachdem wie man das betrachtet. ?Mondschein verhindert abends dieses sanfte Licht vollständig, das normalerweise kurz vor Einbruch der Nacht noch sichtbar (zumindest für die Kamera) ist. Dieser leichte, weiche Lichtschein von Westen wird dann völlig... überfahren vom Mondlicht. Das ist dann nicht ganz so angenehm, wenn mans nicht gerade wirklich darauf anlegt. Ich mache das viel zu selten... Dabei ist Mondlicht ja eigentlich wundervoll. Und man findet besser wieder heim ?

 

Hah dafür freue ich mich auf den Frühling.. Moorbeete fertigbauen und sowas. Eigentlich ja der Hauptgrund, weswegen ich mich hier angemeldet habe. Aberrrr... Das dauert jetzt halt noch ein Weilchen, und bis dahin siehts halt nach Matschgrube aus. Nicht allzu attraktiv.

(Matschgruben mit einer darin verlochten Elster, die ich letzthin rausbuddeln durfte. Was für eine absurde Sache...)

Bearbeitet von Bibwue
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?Elster aus dem Beet ausbuddeln, eine komplett neue Disziplin im Moorbeetbau!

 

Ah, da habe ich dich falsch verstanden weil du "flach" geschrieben hattest. Klar, harte Schatten will niemand wenn es um blaue oder goldene Stunde geht. Und bei Sternen schon gar nicht.

Der langweilig Winter dauert ja noch ein paar Tage. ?

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partisanengärtner

Ich weiß gar nicht was Du hast. Das harte Mondlicht macht diese Landschaft so unwirklich, daß man meint, gleich materialisieren sich hinter dem einsamen kleinen Bäumchen ein Rudel Wölfe oder noch unheimlichere Wesen. Natürlich lautlos und Du kannst nicht mal schreien oder weglaufen.

 

Der 3D Effekt Deiner Bilder macht mich richtig an.

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Am 8.12.2020 um 17:14 schrieb Piesl:

?Elster aus dem Beet ausbuddeln, eine komplett neue Disziplin im Moorbeetbau!

 

Ah, da habe ich dich falsch verstanden weil du "flach" geschrieben hattest. Klar, harte Schatten will niemand wenn es um blaue oder goldene Stunde geht. Und bei Sternen schon gar nicht.

Der langweilig Winter dauert ja noch ein paar Tage. ?

Ich mag ganz besonders dieses sanfte Licht weit nach Sonnenuntergang, wenn der ganze Westhimmel noch leicht leuchtet, während der Rest schon in der Nacht angelangt ist. Das ist dann wie so... Licht einer gigantischen Softbox. Unglaublich weich und sanft - gerade wenns dann auf verschneite Berge und Landschaften mit vielen Rundungen trifft (ob das jetzt Kies im Vordergrund oder irgendwelche Hügel sind, ist ja wurscht).

 

Die Elster - das war eine völlig verrückte Sache. Ich hab Anfang Jahr den Gartenteich vergrössert und in einem zweiten Schritt jetzt im Herbst drei bzw fast vier Moorbeete rundherum entstehen lassen - im Grössten ragten dann eines Morgens ein paar Federn aus dem Torf. Bei näherer Betrachtung entdeckte ich dann auch noch eine rausragende Kralle... Habs dann ausgebuddelt und siehe da, es war eine ganze Elster. ?

Naja, also... Mehr oder weniger. Ein wenig ausgehöhlt war sie bereits. Hab sie dann woanders hin verfrachtet, in der Hoffnung, dass ich das Viech am nächsten Morgen nicht wieder ausbuddeln muss..

 

 

 

vor 22 Stunden schrieb partisanengärtner:

Ich weiß gar nicht was Du hast.

... eine andere Vorstellung. Das hatte ich. ?

 

vor 22 Stunden schrieb partisanengärtner:

Das harte Mondlicht macht diese Landschaft so unwirklich, daß man meint, gleich materialisieren sich hinter dem einsamen kleinen Bäumchen ein Rudel Wölfe oder noch unheimlichere Wesen. Natürlich lautlos und Du kannst nicht mal schreien oder weglaufen.

 

Der 3D Effekt Deiner Bilder macht mich richtig an.

Ooohja das ist genau die Art von Gedanken die ich einerseits mag, aber andererseits nicht unbedingt, wenn ich dann wirklich bei Dunkelheit mitten im Nirgendwo herumstehe. ? Aber gerade wenn - wie jetzt, endlich mal wieder! - im Jura Schnee liegt, dann sehen die fast reinen Nadelwälder immer so herrlich aus... Wie frisch aus einem Märchen mit Wölfen und tiefem Schnee, den es dann zum Glück auch gibt. Einmal war ich im Jura unterwegs hielt irgendwo an, weil da gerade eine Parkmöglichkeit und ein kleiner Weg durch den Schnee war. Ich folgte ihm ohne Schneeschuhe, dachte mir nichts dabei... Und irgendwann machte ich einen Schritt neben die festgetretene Spur und war augenblicklich bis übers Knie versunken. Nach etwa 10min durch den Tiefschnee kämpfen fand ich dann eine schöne Stelle unter einer riesigen, dick verschneiten Fichte, schön in der Sonne. Seither will ich das unbedingt wieder erleben, dann aber mit Schlafsack... Fürs richtige Wildnis-und-Wölfe-Feeling.

V.a... Es ist dann nicht einmal mehr nur ein Gedanke, sondern die Realität. Nebst Luchsen gibts inzwischen auch wieder einige Wölfe hier in der Gegend. Und im Sommer seh ich öfters mal in abgelegenen Bergtälern Bartgeier und Adler. Wie beeindruckend das einfach ist, wenn man die am Himmel sieht, oder Spuren im Schnee entdeckt ?

 

Apropos Bartgeier und versteckte Täler... Da hätte ich auch noch ein paar Fotos. Mal sehn, ob ich morgen Zeit hab. Also.. Zeit habe ich, das ist eigentlich nicht das Problem. Die Tage fehlte eher die Energie - die ging vollkommen drauf für eine handfeste Weihnachtsbaumallergie. So richtig mit krank fühlen und laufender Nase und entzündetem Nasenrachenraum und allem. Heute Morgen habe ich ihn draussen neu aufgestellt und siehe da, alles weg.

Immer dieser Schimmel in den Bäumchen, sobald sie mal drinnen stehn... ?

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vor 14 Stunden schrieb Silke:

Ich hab was gegen Weihnachtsbaumallergie.

[Bild]

Eheheh wie gut! Ist das links daneben eine Katzen-Nesthöhle? Geht die nicht an den Sand ran? Der sieht ja selbst für mich verlockend aus. ?

 

 

Im letzten Beitrag habe ich was von Bartgeiern erwähnt, dann lasse ich doch mal ein wenig mehr davon folgen.

 

Vor ein paar Jahren, als ich in Google Earth durch die Lüfte schwebte und nach spannenen Orten suchte, fiel mir ein auf den ersten Blick unscheinbares Hochtal auf. In der Folge informierte ich mich mehr und mehr darüber, bis ich alles in Erfahrung gebracht hatte, was ich konnte. Der nächste Schritt war klar: ich musste mich selbst dort hin begeben.

Und so kam es, dass ich eines Morgens meine Sachen schnappte und mich auf den Weg machte. Doch wie so oft: irgendwas ist immer. Irgendwo ist immer ein blinder Fleck, und genau aus der Richtung kommen dann Überraschungen. Und es wäre eine Überraschung gewesen, wäre das nicht auch in diesem Fall geschehen.

 

Ich hatte mich auf einen Weg zu Fuss von etwa 3km eingestellt, ab letzter Parkmöglichkeit. Darum achtete ich auch nicht besonders aufs Schuhwerk und trug neue, noch nicht eingelaufene Stiefel. Auch wenn militärtaugliche Volllederstiefel relativ schwer sind, ich ziehe sie i.d.R. im bergigen Gelände anderen Schuhformen vor, weil ich manchmal dazu neige, mit dem Fuss abzuknicken, wenn die Beschuhung nicht über die Knöchel reicht.

Tja, doch ich hatte nicht mit einer solchen Überraschung gerechnet. Noch bevor das letzte Dörfchen passiert war, ging plötzlich nichts mehr. Die ohnehin schon schmale Strasse war beidseitig zugeparkt, und ein Mensch mit Warnweste teilte mir durchs heruntergelassene Fenster mit, dass ausgerechnet an diesem Tag irgend ein Ereignis stattfände, wodurch die Strasse ab hier gesperrt sei, und ab 17h komplett abgesperrt werde.

 

Damit hatte sich der zu Fuss zurückzulegende Weg mehr als verdoppelt und Zeitdruck war nun ebenfalls vorhanden - hurra, genau wie man das haben möchte, wenn man zum ersten Mal irgendwo hin möchte! ?

 

Nach wenigen Sekunden des Überlegens schnappte ich den Rucksack und ging los, vorbei an unglaublich vielen Autos... Bis ich dann irgendwann das Dörflein erreicht und passiert hatte. Bis da war es relativ angenehm und bequem, doch nun folgte ein recht happiger Anstieg durch den Wald. Zwar immer noch auf einem fahrbaren, asphaltierten Weg, doch dieser zeigte bereits, in welche Richtung es gehen würde. Zunehmend steiler führte er hinauf. Links von mir, irgendwo weit unten in der Schlucht sah ich aquamarinfarbenes Wasser hinabtosen, immer wieder führten kleine Schmelzwasserrinnsale über den Weg. Und meine Füsse? Die fingen an sich zu beschweren. Die Fersen taten jetzt schon weh, und ich hatte noch nicht einmal den ursprünglich geplanten Startpunkt erreicht. Es War Anfang April, überall lagen noch wegtauende Schneefelder. Die Wiesen waren noch mehrheitlich braun, und als erste Anzeichen des nahenden Frühlings schauten an besonders sonnigen Orten Huflattichblüten als einzelne, gelbe Farbtupfer aus den plattgedrückten Wiesen.

 

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Der Weg führte nun über einen nicht mehr asphaltierten Weg durch die Wälder hindurch - mehrheitlich Fichten und Lärchen bestimmten die Landschaft. Dichte Wälder mit dicken Moospolstern zwischen den Bäumen, welche den rauhen, felsigen Boden überwucherten und weicher wirken liessen, als er eigentlich ist. Unzählige Moosarten konnte ich unterwegs entdecken, doch den Füssen ging es immer schlechter.

Irgenwann erreichte ich ein Wegstück, das man definitiv nur noch mit einem guten Geländewagen oder einem Raupenfahrzeug (oh ja, irgendwo unterwegs stand ein rostendes aber offensichtlich noch fahrtüchtiges Raupenfahrzeug herum, eine ursprünglich mal gelb lackierte Planierraupe mit teilweise verbogener Schaufel und hier und da fehlenden Abdeckungen, die wohl nach Unwettern dazu genutzt wird, die teilweise massiven Schuttkegel vom Weg zu schieben) bewältigen konnte. Oder eben zu Fuss - nur nicht unbedingt mit neuen Schuhen.

Als wäre es nicht schon anstrengend genug gewesen, lag der Weg danach unter Schneefeldern. Mit jedem Schritt rutschte ich gut zwei Drittel der Schrittlänge wieder zurück, die Schuhe rissen und schabten an den Fersen, mit jedem Schritt biss ich die Zähne zusammen und kämpfte mich den Weg weiter hoch. Und das Gepäck im Rucksack machte die Sache nicht unbedingt einfacher. Doch dann... Erreichte ich den Waldrand, und vor mir öffnete sich der hinterste Teil des Tals.

 

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Wasser stürzte an mehreren Stellen die steilen Felswände herab, Schnee bedeckte noch einen grossen Teil der Landschaft, Lärchenwälder standen da wie abgebrannte Streichhölzer, noch mitten in der Winterruhe... Ein herrlicher Anblick. Trotz des Zeitdrucks setzte ich mich einen Moment hin, liess meinen Körper sich ein wenig erholen und betrachtete die Szenerie vor mir. Ich hatte mein Ziel trotz allem erreicht. Mir ging es darum, Informationen vor Ort zu sammeln, damit ich zu einem späteren Zeitpunkt zurückkehren und ernsthaft fotografieren kann. Und jetzt wusste ich, woran ich war. Das war wieder einmal deutlich anstrengender als erwartet. Aber jetzt war ich vorbereitet.

 

 

Den nächsten Besuch stattete ich diesem glazialen Hochtal bereits Ende April ab, nur drei Wochen später. Diesmal konnte ich wie geplant das Dorf passieren und setzte den Weg erst ab dem geplanten Parkplatz zu Fuss weiter. Mein Rucksack war diesmal allerdings umso schwerer - ich hatte Material für Timepalse-Aufnahmen dabei. Intervalometer, Slider, Schrittmotor für die ganze Sache... Und ich wollte das Material mal testen, hatte es davor noch nicht richtig benutzen können und wollte nebst "normalen" Fotos damit herumexperimentieren. Ganz ohne Ziel und Plan, einfach nur um mich mit dem Material vertrauter zu machen.

Also schleppte ich abermals viel Metall und Glas den Hang hinauf. Der Frühling zeigte sich inzwischen schon deutlicher. Nebst den Huflattichblüten schauten unzählige Krokusse in weiss und violett aus dem Boden und die Schneereste waren bereits weniger geworden.

 

Nach einiger Zeit voller anstrengenden Anstiegen und endlosen Kurven stand ich wieder am Ende des Tals. Mein Rucksack landete auf einem sonnengewärmten, flachen Felsblock. Mit der Kamera in der Hand wanderte ich ziellos umher, immer auf der Suche nach möglichen Blickwinkeln. Doch ich war ja nicht nur für Fotos hier, sondern um mich mit dem Material vertrauter zu machen, das ich extra dafür mitgeschleppt hatte.

Aufgebaut war es schnell, und ein paar unterschiedliche Blickwinkel hatte ich auch gefunden, um einfach ein wenig herumzutesten - ganz ohne Erwartung eines brauchbaren Ergebnisses.

 

Das schöne daran, Timelapse-Aufnahmen zu machen, ist definitiv die Tatsache, dass man Zeit benötigt. Viel Zeit. Zeit, in der die Kamera alles von selbst macht und man sich einfach ausruhen kann. Herum sitzen kann, die Landschaft betrachten und umherwandern kann. Genau das tat ich dann auch, beschränkte mich dabei aber vor allem darauf, mich an einen warmen Ort zu legen und den Wolken zuzuschauen, während die Kamera die eingestellte Menge an Aufnahmen/Zeit fertigstellte.

 

Dabei entstand ein ganz kurzes Filmchen, das ich zu einem späteren Zeitpunkt zusammengeschnitten und mit Musik unterlegt hatte.

 

 

 

Dieses Tal ist etwas ganz besonderes. Abseits des Tourismus und fast ausschliesslich bei Einheimischen bekannt, abgelegen und beinahe zerstört worden. In den 60er Jahren wollte das Militär dieses wunderschöne Hochtal zerstören und als Übungsgelände missbrauchen. Die unglaubliche Artenvielfalt wäre zerstört worden, stattdessen hätten Granatenkrater und rostende Metallsplitter die Landschaft geprägt. Pfützen mit rostrot-gelblichem, eindeutig giftigem Wasser anstelle von Krokuswiesen, Geschützlärm und Gestand anstelle von Bartgeiern und Luchsen.

Glücklicherweise konnte eine solche Schweinerei verhindert werden, und das Tal wurde stattdessen unter besonderen Schutz gestellt. Denn durch seine Lage und Umgebung gehört es zu sehr wenigen dieser Art.

Das Klima ist rauh, ganzjährig. Die Winter sind geprägt von tiefem Schnee und massiver Kälte. In den Wintermonaten erreicht die Sonne den Talgrund überhaupt nicht, dadurch liegt es monatelang vollständig im Schatten. Und auch wenn im Frühjahr die Sonne wieder bis zum Grund hinab reicht, schmilzt der Schnee nur zögerlich. Die Luft ist im Frühling nach wie vor eiskalt, und nur die Sonnenstrahlen bringen etwas Wärme, während von den umliegenden Gletschern ständig die eiskalte Luft herabweht. Es ist ein eigenartiges Gefühl, dort zu stehen. Während die sonnenzugewandte Seite des Körpers denkt, es sei angenehm warm, meldet die im Schatten liegende Seite Eiseskälte. Gleichzeitig kann einem so warm und kalt sein. Die Wärme hält sich nur sehr schwer, und sobald die Sonne weg ist, wird es augenblicklich wieder eiskalt. Und das bis weit in den Sommer hinein.

Die Sommer sind sehr kurz und werden dazu genutzt, ein paar Kühe grasen zu lassen. Doch schon bald kehrt die Kälte wieder zurück und die Kühe verlassen zusammen mit den Menschen wieder das Tal, siedeln sich weiter unten an.

Und schon bald darauf fällt der erste Schnee. Manchmal noch bevor die Lärchen überhaupt gelb werden. Alles kehrt zurück in den winterlichen Schlaf und wartet darauf, im der nächsten, kurzen Vegetationsperiode wieder zu blühen. Durch den Schnee entsteht eine isolierende Schicht, wodurch auch unzählige Pflanzen dort überleben und sich vermehren können, die normalerweise etwas mildere klimatische Bedingungen benötigen würden. Und das sieht man an allen Ecken, hinter jedem Stein.

 

Das gesamte Tal ist mehrheitlich frei von grossen Störungen durch Menschen und ihren Begleiterscheinungen wie Müll und Lärmbelastung. Das gefällt auch den Tieren. So ist es nicht verwunderlich, dass hier Tiere leben, die man sonst eher nicht zu Gesicht bekommt. Wenn man ein wenig Glück hat, sieht man Bartgeier hoch oben am Himmel kreisen, kann Spuren von Luchsen und Wölfen finden... Und hat man ganz besonders viel Glück, entdeckt man möglicherweise einen kleinen Sperlingskauz, der sich irgendwo auf einen alten, knorrigen Ast einer Lärche gesetzt hat.

 

 

Doch so schön der Frühling auch sein mag mit all seinen den Boden bedeckenden Blüten - meine liebste Jahreszeit an diesem Ort ist der Herbst. Dann, wenn tiefe Wolken vorbeiziehen, die teilweise über 3000m hohen Berge rundherum verdecken, tief ins Tal hinabhängen... Düsteres Licht die Landschaft bestimmt, die Sonne sich kaum mehr zeigt und der erste Schnee fast schon greifbar ist.

 

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Wie herrlich das Tal aussieht, wenn die Lärchen goldgelb geworden sind... Der Herbst in den Bergen könnte meiner Meinung nach gerne noch viel länger dauern, die Lärchen ein, zwei Wochen länger dieses leuchtende, goldfarbene Aussehen behalten, bevor sie langsam orangerot werden.

 

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... und wieder liegt das Tal still da, kaum von Menschen betreten, unter einer dicken Schneeschicht auf den Frühling wartend... Einen Frühling, der womöglich etwas später einsetzen könnte, denn schon jetzt liegt einiges an Schnee. Und anders als im vergangenen Winter sieht es danach aus, als könnte diesmal viel Schnee fallen. Und das... Ist gut. Gut für alle.

Bearbeitet von Bibwue
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Hi,

wieder ein genialer Bericht mit faszinierenden Bildern aus einer Wildnis, die man sonst nur im entlegenen Norden Skandinaviens, Alaskas oder Russlands vermuten würde. An Gepäck scheint es dir ja auch nicht zu mangeln. Mal ebenso nebenbei noch ein paar Timelapse mit dem motorisierten Slider drehen ...   Und ich dachte schon, dass ich allzeit zu viel Fotogerümpel mit mir herum schleppe. Aber man muss ja immer auf alles vorbereitet sein.?

 

Dir und deinem Weihnachtsbaum nun eine gute Besserung und eine schöne Zeit.

 

Gruß Piesl

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vor 7 Stunden schrieb Beautytube:

@Bibwue

 

super Bericht und geniale Bilder! Danke.

 

Der Zeitraffer wurde am selben Tag gemacht, oder bist Du mehrmals dort gewesen?

 

BT

Danke! ?

 

Seit 2017 4x, das letzte Mal im diesjährigen Herbst.

Und es hat sich absolut nichts verändert in dieser Zeit. Sogar viele Steine sind noch am gleichen Platz, alle Bäumchen sowieso, Totholz... Ganz faszinierend. 

 

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Ich möchte hier mal kurz unterbrechen und etwas sehr unmooriges dazwischenschieben...

 

Vorgestern war das Wetter perfekt hierzulande. Schnee in den Bergen, kalt genug, damit der Reif und Schnee auch auf den Bäumen blieb ohne im Sonnenlicht wegzutauen... Perfekt. Die Nacht zuvor war mit -15° und etwas Nebel optimal, um am folgenden Tag herrliche Eiskristallstrukturen an allen Objekten bewundern zu können. Und: ich hatte nachmittags gerade Zeit, mich für den Abend vorzubereiten und auf einen der vielen Juragipfeln zu steigen.

 

Hier "unten" herrschte einfach nur graues, düsteres Wetter unter der Wolkendecke. Doch die war sehr schnell durchbrochen, und dann... War da auf einen Schlag ein Winterwunderland, das mir die Sprache verschlagen hat. Da kam unübertrieben nur noch in Endlosschleife ein "Woaahh... Wow!" aus mir heraus.

 

Das gesamte Flachland unter einem gigantischen Nebelmeer versteckt, die Alpen in weiter Ferne hell leuchtend im Neuschnee, absolut klare und freie Sicht bis hin zum 136km entfernten Mont Blanc... Und ein absolut klarer Himmel. Ausser zum Sonnenuntergang und kurz danach. Da schlichen ein paar Wolken v.a. über den westlichen Himmel, die dann im Licht zu leuchten begannen.

 

Tja, ich war im Himmel. Aufgrund des ausgefallenen, vergangenen Winters hatte ich jetzt fast zwei Jahre auf diese Wetterbedingungen warten müssen, und plötzlich war einfach alles da. Dick verschneite Nadelbäume, knirschender Schnee, wunderschöne Eisstrukturen am Boden, überall Eiszapfen und dicke Schneepolster, -13° bei Sonnenschein, direkt an der Nebelgrenze mit leuchtenden Nebelfetzen die vorbeiziehen... Ein absoluter Traum. Zu schade, dass es jetzt wieder aufwärmen und über all den herrlichen Schnee drüberregnen wird.

 

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Ziemlich verrauscht isser, der höchste Berg Europas. Aber das war freihändig auf dem Rückweg, da darf sowas schon mal passieren. Finde ich. ? Ist ja nur ein Foto nebenbei weils einfach schön anzusehen war.

 

Jetzt liegen etliche Moore unter Schnee und Eis versteckt und warten darauf, dass der Frühling irgendwann wieder kommt. Und dieser Frost tut so gut! Letztes Jahr gabs nur vereinzelt etwas Frost, und auch nicht zusammenhängend, sondern nur mal zu Beginn des Winters etwas, und gegen Ende hin. Das hat die Natur ziemlich durcheinandergebracht und auch für Pollenallergiker wars eine Katastrophe. Dass dadurch viel mehr Wespen und v.a. Zecken unterwegs waren, ist nochmals eine andere Sache...

 

Aber dieser Winter sieht wirklich vielversprechend aus. ?

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Am 12.12.2020 um 11:49 schrieb Tobibier:

Zu den aktuellsten  Bildern kann man nur wieder sagen was ein porno gern mehr davon ?

Danke! ? Na dann hab ich sogar noch was... So als Erinnerung an diese kurze aber fantastische Winterstimmung. Weil jetzt...:

 

 

Am 13.12.2020 um 19:28 schrieb Beautytube:

@Bibwue

Wie immer super Bilder!!!!

Leider ist mir hier in meinem Teil Österreichs das Wetterglück nicht so hold.

Nebel, Regen, SCH.... Wetter.

 

BT.

... sieht hier ähnlich aus. Aber dummerweise ohne Nebel. Aus Schnee wurde Regen, Frost zu Tauwetter... Und jetzt ist es grau, vollkommen bedeckt und sieht doof aus. Damit lässt sich nun wirklich so gut wie nichts machen. Und was möglich wäre, nun... Dafür bin ich irgendwie zu bequem. ?

 

Wofür ich allerdings nicht zu bequem bin: Hier mal noch zwei weitere Aufnahmen von etwas unterschiedlichen Zeitpunkten und unterschiedlichen Blickwinkeln von diesem kurzen aber intensiven Ausflug.

Inzwischen ist der Schnee leider vollständig weggeschmolzen. Regen und Plusgrade haben ihn beseitigt. Jetzt sieht es ziemlich trist aus. Das ist so die Übergangszeit zwischen Schnee und Frühling, die ich gar nicht mag. Dann, wenn alles graubraun ist, die Bäume keinen Schnee und keine Blätter an/auf sich haben, die letzten Schneeflecken nicht mehr schön aussehen und braune Spuren haben, usw. Unschön. Hoffentlich kommt bald wieder der Schnee... Auch wenn ich nicht gerne aufwärts durch den Schnee stapfe, weil man immer so viel Energie verliert und schlussendlich mehr Energie investiert hat, als man Wegstrecke zurückgelegt hat. Sicher 30% Verlust durch Rutschen usw.

 

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So, jetzt aber erstmal genug von Unmoorigem. Weil Moore gibts noch genug und auch Fotos davon. ?

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  • 2 Monate später...

Was bin ich doch froh, in einem Land zu leben, in dem es so viele verschiedene Lebensräume für allerhand Pflanzen und Tiere gibt - alle schön erreichbar in unter 4h. Meist.

 

 

Hochmoore, Flachmoore.. Moore weit unten, Moore weit oben... Überall sumpfts und matschts unter den Füssen, wenn man nur weiss, wohin man gehen muss. Und so ein Ort ist auch der folgende.

 

Die meisten Orte finde ich nach wie vor per Google Earth bzw. Google Maps. Irgendwann weiss man in etwa, wonach man suchen muss. Orange-rötliche Verfärbungen anstelle von grünem Gras, (alte) Schwemmebenen im Gelände, usw. Und so fand ich auch diese Landschaft. Mit einer Anfahrtszeit von etwas über 2h gehörts schon zu den etwas entfernteren Orten, aber immer noch absolut in Ordnung für Tagesausflüge, was ich dann auch oft gemacht habe.

 

Ich bin seit eh und je ein riesiger Fan von Bergseen und der Vegetation über 2000m, und so war es für mich ab der ersten Sekunde klar, dass ich diesen neu gefundenen Bergsee besuchen muss. Doch das Problem dabei: es war noch Frühling. Frühling auf meinen 600müM bedeutet nach wie vor Winter auf über 2000m. Und in dem Wetter ausgesetzten Bergregionen ist auch der Spätfrühling immer noch tiefster Winter. Und genau an einem solchen Ort befand sich der Bergsee, den ich da gefunden hatte. Mitten in einem Gebiet, das sehr unwirtlich ist. Kurze Sommer, dauerhaft mal leichter, meist aber eher stärkerer Wind, wechselnd zwischen sehr feucht und sehr trocken, teils mit Südneigung und damit voll der Sonne ausgesetzt... Permanent umspült von den aufeinandertreffenden Wetterkräften aus Norden und Süden... Und genau dort wo sie aufeinandertreffen, dort auf dem Bergrücken, über den der Wind pausenlos drüberrauscht... Dort war mein Ziel.

 

Also wartete ich... Und wartete... Und wartete. Der Frühling entfaltete sich... Irgendwann blühten die Wiesen überall in Gelb, das Gras stand hoch und die Obstbäume blühten... Und ich wartete immer noch. Der Frühling verging, der Mai zog durchs Land, und als der Juni anfing, konnte ich nicht mehr länger stillsitzen. Ich wollte raus, wollte die Berge hoch, wollte zu diesem einen Bergsee. Davorstehen und ihn mit eigenen Augen sehen. Nicht nur das verschwommene Satellitenbild am PC, während ich krumm davorsitze und draussen alles noch kalt und grau ist.

Mitte Juni dann gings zum ersten Mal los.

 

Hier "unten" war der Schnee schon längst weggeschmolzen. Die erste Hitzewelle des Sommers hatte eine Woche vorher ihren Peak erreicht und selbst auf 2300m 25° beschert. Was für eine absurde Situation, wenn man weit oben in den Bergen auf Schneefeldern entlangläuft und dabei von der Sonne bei 25° gebraten wird.

Doch die Hitzewelle war grösstenteils vorüber, Wolken zogen durchs Land und brachten wieder niedrigere Temperaturen. Ich empfand sie trotzdem als unangenehm und wollte nun endlich hinauf... Nicht zuletzt, um den Sommertemperaturen zu entgehen... Wenigstens für eine Weile.

 

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Kurve um Kurve gings hinauf in die Berge. Zuerst umgeben von Wäldern und Schluchten, dann von immer karger werdenden Landschaften. Der Wald wich zurück und irgendwann war er ganz verschwunden, irgendwo weiter unten im Tal zurückgelassen. Anstelle von Nadelbäumen ragten jetzt überall grosse, vor langer Zeit herabgestürzte Felsen empor. Und wo keine Geröllfelder den Boden bedeckten, wuchsen gedrungene Alpenrosen, Heidelbeeren, Farne und andere alpine Pflanzen.

Der Himmel war grau. Eine relativ schnell ziehende, vollständig geschlossene Wolkendecke schob sich über die Berge vor mir. Und irgendwann hatte ich meinen Ausgangspunkt erreicht.

Schnee lag herum, die Landschaft schien noch im Winterschlaf zu sein. Auf dem Gewässer vor mir trieben dicke Eisschollen, und meterdicke Schneefelder bedeckten grosse Teile der Umgebung.

Trotzdem packte ich meine Sachen und machte mich auf den Weg. Zum Glück wusste ich genau wohin ich gehen musste, denn Wege waren grossteils unter Schnee versteckt, sowie auch andere Dinge, an denen ich mich ohne Schnee hätte orientieren können.

 

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Ohja, so fühlt sich der hohe Norden an.

Augenblicklich fühlte ich mich wie im Norden Schwedens. Die wenigen Zeugen menschlicher Existenz waren schon bald hinter Nebel, Wolken und Hügeln verschwunden. Jetzt war nichts mehr zu sehen oder zu hören, was an Menschen erinnerte. Lediglich der ab und an zwischen dem Schnee hervorblinzelnde Weg zeigte, dass hier ab und zu Menschen entlangkommen. Doch schon bald verliess ich auch diesen letzten Hinweis auf Zivilisation und folgte der Route, die mir schon am Bildschirm am klügsten zu sein schien. Hinzu kamen die Schneefelder, unter denen teilweise Bergbäche entlanggluckerten. Ich konnte sie stellenweise unter meinen Füssen hören - dementsprechend vorsichtig betrat und überschritt ich sie an Orten, wo eine Umgehung unmöglich war.

 

 

Und dann... Erreichte ich die erste Ebene. Zuerst sah ich diese völlig ebene Fläche vor mir, als erster Hinweis darauf, mein Ziel bald erreicht zu haben. Schon wenige Schritte später matschte es unter den Schuhen, und meine Füsse wurden kalt und nass. Nichts, was mich bei der Landschaft besonders überrascht hätte. Und nichts, was mich nun gross stören sollte, solange dadurch keine Blasen an den Füssen entstehen. Ein wenig kalte Füsse würden mir schon nicht schaden. Und so schritt ich vorsichtig am Rande dieser fast überschwemmten Fläche entlang, immer darauf achtend, keine Moose, Flechten und Farne zu zertrampeln, kein Blümchen und Gräslein unter den Schuhen zu zerquetschen, das in ein paar Tagen oder Wochen zu blühen beginnt. Doch bisher schien noch fast alles zu schlafen.

 

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Bald - nach einigen auf und ab - konnte ich den Ort sehen, der mich bis hier hin gelockt hatte. Doch es war noch viel zu früh im Jahr. Erst vor kurzem war die Schnee- und Eisbarriere beim natürlichen Abfluss geborsten, welche zuvor den Schnee und das daraus entstehende Schmelzwasser zurückgehalten hatte. Im Winter neigen solche Verengungen gerne dazu zu vereisen. Es entsteht ein Zapfen; ein Verschluss, hinter dem sich das ganze Wasser langsam aufstaut, bis ein See entsteht. Sobald der Druck dann zu gross wird und die wegschmelzende Schneebarriere dem Druck nicht mehr standhalten kann, bricht sie auf, das Wasser fliesst ab und die Eisdecke legt sich auf den nun wieder freigegebenen Boden.

Ab dann dauert es an weniger Sonnenexponierten Stellen manchmal bis Ende September, bevor sich die letzten Schneereste aufgelöst haben. Mich weiter zu nähern erschien mir zu gefährlich und sinnlos, von hier hatte ich einen viel besseren Überblick. Und die Vegetation befand sich noch teils im Winterschlaf - besonders viel zu sehen gab es somit auch noch nicht. Keine Pflanzen zu bewundern, keine Blüten zu bestaunen und nichts grünes zu fotografieren. Also setzte ich mich einen Moment hin, den Rücken an einen mich vor Wind schützenden Felsen gelehnt und den Blick über die Landschaft schweifen lassend... Und genoss einfach das Dort-Sein, bevor ich mich wieder auf den Rückweg machte.

 

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Einen Monat später - mitten im August - machte ich mich wieder auf den Weg. Diesmal war die Vegetation bereits viel weiter. Was ich immer wieder interessant finde: Auf der Alpennordseite liegen die Zonengrenzen gute 500m tiefer als auf der Alpensüdseite. Während diese Vegetation hier bereits auf 2000 - 2100m zu finden ist, benötigt man südlich der Rhone bereits 2500m und mehr für die selben Pflanzenwelten.

Auf jeden Fall besuchte ich diese Landschaft mehrmals während des Bergsommers. Der erste Sommerbesuch fand während strahlend schönem Sonnenschein mit einigen schnell vorbeiziehenden Wolken statt. Nicht unbedingt Fotografenwetter, zugegeben. Doch manche Landschaften sehen selbst bei Sonnenschein am Mittag fantastisch aus - finde ich zumindest. Und so auch diese.

Denn diesmal hielten mich die zurückgeschmolzenen Schneefelder nicht mehr davon ab, hinabzusteigen und dort hin zu gelangen, wo ich von Anfang an hin wollte.

 

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Was für eine traumhafte Welt! Überall unzählige nässeliebende Pflanzen, Wollgras, Moose aller Art, Binsen... Ein Traum für jeden, der moorige Landschaften mag. Und noch dazu absolut menschenleer, still und voller Details, die erkundet werden wollen. Man könnte sich Stunden, ja Tage und Wochen dort aufhalten und es würde einem nicht einmal der Gedanke kommen, man habe alles gesehen.

 

Doch ich hatte ja keine Ahnung, was mich bei meinem nächsten Besuch erwarten würde. Ich dachte, dass ich für sommerliche Verhältnisse und tagsüber, fernab von Sonnenauf- oder -untergang alles gesehen habe... Doch dann gabs Nebel. Und ich war im Himmel - wortwörtlich. Mittendrin in tiefhängenden Wolken, die über den Bergrücken schleiften. Nach kurzer Zeit tropfte es von meiner Sonnenbrille, die Jacke war auf der dem Wind ausgesetzten Seite bereits dunkel und nass geworden... Und rund um mich herum begann das Grün der Moose erst so richtig zu leuchten. Genau dieses Wetter benötigte die Landschaft, um sich von der bestmöglichen Seite zu zeigen.

Scheuchzers Wollgrasköpfchen schaukelten im Wind, das Moos vor mir war herrlich saftig und durch die Feuchtigkeit leuchtend grün, und an manchen Stellen glitzerte der Boden durch hingespülte Bergkristallsplitter. Und ich stand mittendrin in dieser fantastischen Landschaft, mich ständig im Kreis drehend, überall anhaltend um möglichst alles von dieser Stimmung aufzusaugen, nichts zu verpassen... Und machte Fotos.

Zwischendurch wurde die Wolkendecke etwas dünner, und diffuse Lichtfelder zogen über die Landschaft vor mir.

 

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Doch nach einigen Stunden war meine Jacke doppelt so schwer geworden, meine Mütze tropfte pausenlos und der Wind zeigte so langsam Wirkung: mir wurde langsam etwas kühl um die Nase. Also machte ich mich auf den Rückweg... Wohlwissend, dass das nicht der letzte Besuch gewesen ist, und der Herbst erst noch kommt. Dann, wenn sich die Welt noch einmal völlig ändert und von sattgrüner Umgebung nichts mehr zu sehen ist... Stattdessen rote Heidelbeerbüsche kupferrot glänzende Wiesen unterbrechen und für noch mehr Farbe sorgen, als ohnehin vorhanden sein wird.

 

Doch bevor sich der Herbst richtig zeigte, kam bereits der erste Schnee. Ein Anblick, den man nur sehr, sehr selten hat. Frühlingsgefühle im Spätsommer... Solches Tauwetter ist im Flachland im Februar/März normal. Wenn der letzte Schnee taut, es überall gluckert und die Sonne bereits schön wärmt. Doch in den Bergen sieht das anders aus. Der Frühling ist normalerweise nicht so. Da liegt sehr viel Schnee, sehr lange. Alles ist braun und höchstens olivgrün.

Dank des frühen, leichten Schneefalls hingegen, konnte ich diesen seltenen Moment miterleben. Als ich losging, war der Boden noch grossteils verschneit. Doch die warme Fast-Septembersonne - es war der 31. August - liess ihn schnell wieder wegtauen. Dafür konnte ich überall dieses herrliche Gluckern hören. Kleine Bächlein aus Schmelzwasser flossen die Wiesen hinab, und die ersten Grasbüschel deuteten mit dem Farbwechsel bereits den kommenden Herbst voller warmen Farbtönen an.

 

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... und dann kam der Herbst. Ende September stattete ich dieser Landschaft den letzten Besuch des Jahres ab - kurz bevor der erste richtige Schneefall alles unter sich versteckte.

Inzwischen war alles ein Meer aus goldenen und kupferfarbenen Wellen aus Gräsern, voller Inseln mit leuchtend roten Heidelbeersträuchern. Genau so wie erwartet und erhofft. Alles leuchtete, und bei näherer Betrachtung hingen die Sträucher voll mit fast schon überreifen, saftigen Heidelbeeren. Hier und da verschwand eine Hand voll davon in meinem Mund, während ich durch die Landschaft wanderte... Hier und da mal anhielt um ein Foto zu machen, und einfach die Umgebung bewunderte.

Als ich dann an meinem Ziel angelangt war, überfuhr mich der Anblick förmlich. Überwältigend war der Anblick, und ich blieb einfach dort sitzen, neben der Kamera. Ich weiss nicht wie lange. Es könnten fünf Minuten gewesen sein oder eine Stunde. Vermutlich liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte.

 

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Hier sitze ich nun, diesen Beitrag schreibend und mich bereits auf den Moment freuend, wenn die Schneefelder wieder soweit zurückgewichen sind, dass die Landschaft darunter sichtbar wird... Die Vegetationsperiode wieder so richtig beginnt und alles auf den kurzen, ersten Höhepunkt zusteuert... Dann, wenn alles satt grün leuchtet und man den Boden vor überall hervorquellenden Blumen kaum mehr sehen kann. Und auf den zweiten Höhepunkt, den rotgildenen Herbst, kurz vor dem ersten Schnee.

 

 

 

 

 

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